Menschen im Cafè

Mehrmals in der Woche sitze ich in Kaffeehäusern, allein oder mit Freunden. Ich lese die Zeitung und betrachte die Menschen die um mich Platz genommen haben. Ich bemerke ihr Aussehen, ihre Kleidung, höre sie sprechen, und versuche sie einzuschätzen. Im Laufe eines nun schon langes Lebens hat man ein gewisse Erfahrung im Beurteilen der Menschen, oder glaubt zumindest sie zu haben. . 

Wir können versuchen, das was in unserem Inneren vorgeht, zu verbergen, Unsicherheit, Angst, Trauer, Kummer, aber unserem Gesicht und unseren Minen kann man diese Gefühle doch meist ablesen. Ein Lächeln kann erzwungen, eine Freundlichkeit kann vorgetäuscht sein, jedoch ganz gelingt es nie die Stimmungslage aus dem Gesicht vollständig zum Verschwinden zu beginnen. Schminke kann Alter, und Kleidung kann eine schlechte Figur nur abmildern, aber nicht vollständig verbergen. Unsere Zeit, die nach dem Jugendkult lebt, veranlasst viele Ältere ihre Kleidung auf jugendlich zu abzustimmen. Die weiblichen Haarfarben müssen auch kurz erwähnt werden. Ein Kabarettist sprach unlängst ungalant von einem Wechseljahre – Rot. Fast keine Frau hat ab dem 16. Lebensjahr noch ihre natürliche Haarfarbe. 

Die Menschen sind heute anders angezogen als früher. Schwarz überwiegt, weil vielleicht auch schwarze Hemden und T shirts ohne zu verschmutzen, länger getragen werden können. Man spart sich das Waschen. Herren tragen seltener Hemden, weil diese gebügelt werden müssen, das kommt sehr teuer. Vielleicht ist es auch schwarz, weil schwarz schlank macht. Man hat das Gefühl, dass die Menschen nicht mehr wissen, was man zu bestimmten Anlässen trägt. Nicht umsonst spricht manheute von einem Dress Code. Dann gibt es bei beiderlei Geschlecht hin und wieder einen Ausbruch von Farbigkeit. Grelle Farben durchbrechen manchmal wie Sonnenstrahlen die schwarze Wolken. Derzeit ist es für beide Geschlechter Mode Halstücher oder Schale zu tragen, die in kühnen Windungen um den Hals geschlungen eine modische Note geben. Turnschuhe werden zu Anzügen und Krawatten getragen.

Ich merke soeben, das ich über die Mode schreibe. Unauffällige Anzüge, Kostüme und Kleider die einstmals als elegant galten sind so selten geworden, dass sie geradezu auffallen. Industriemanager und Banker tragen sie.

Lassen wir Figuren und Kleider beiseite, beschäftigen wir uns mit den Gesichtern der Menschen. Hat ein Mensch einmal 50 Jahre erreicht läßt sich sein ganzes bisheriges Leben von seinem Gesicht ablesen. Als Arzt sehe ich entstehende oder bestehende Erkrankungen. Erworbene Sünden haben sich festgeschrieben: Alkoholismus, Nikotinabusus, Hypercholesterinämie, hoher Blutdruck werden sichtbar. Falten haben sich durch Sorgen eingegraben, Kummer und Krankheiten haben Spuren hinterlassen.

Selbstbewusstsein und Erfolg lassen sich in einem Gesicht erkennen, ebenso Melancholie und Resignation. 

Der Verlust der Attraktivität ist für Frauen sehr schmerzlich. Sie wollen bis ins hohe Alter als Frauen wahrgenommen werden. Viele Frauen sind heute durch Beruf und Familie vorzeitig erschöpft. Was mich immer erschüttert und traurig macht sind Frauen zwischen vierzig und fünfzig, die von ihren Partner mit und ohne Kindern, allein gelassen wurden. Man sieht ihnen die tiefe Demütigung und Schwere ihrer Existenz im Gesicht und am Gang an. Ich meine wahrzunehmen, dass es von ihnen immer mehr gibt. Sie vergilben geradezu vorzeitig. Oft legen sie keinen Lippenstift oder Schminke mehr an, weil sie bereits resigniert haben. Frauen müssen auch in unserer, ach so fortschrittlichen, Gesellschaft viel ertragen. Männer, Schwangerschaft, Geburt, Kindererziehung und dann die Sorge um die Eltern. Wie selbstverständlich wird alles bei ihnen abgeladen und lastete schwer.

Bei Männer lindert das Geld und die Position den Verlust der Attraktivität. Sie haben es leichter ihre Bedürfnisse am Liebesmarkt einzukaufen. Dies tun heute auch reiche Frauen. Selbst weniger reiche Frauen fahren in die Länder der dritten Welt um sich zu versorgen. Für den Mann ist, die nicht erreichte Position, die nicht gemachte Karriere das Problem. Auch ihnen ist dann eine resignierte Mine zu eigen. Sie versuchen dies oft durch eine Besonderheit der Kleidung, der Frisur oder durch einen Bart auszugleichen. Heute ist der unrasierte Mann modern, sein Bart steht für Männlichkeit und Jugend. Um die 50 bewirkt allerdings ein grauer oder weißer Bart oft das Gegenteil, er macht seinen Träger älter. Was für die Frau, der Verlust der Attraktivität ist, ist für den Mann der Verlust der Potenz, ist es durch Alter, Krankheit oder Medikamente geschehen, die Impotenz führt, besonders bei früher sehr aktiven Männer zu einem resignativen bis depressiven Gesichtsausdruck. Da helfen auch die blauen Pillen nicht.

Manche Menschen bewahren sich auch bis in das hohe Alter eine gewisse Jugendlichkeit der Mimik und der Bewegung. Ich freue mich im Gesicht einer alten Dame, das junge Mädchen wieder zu erkennen das sie einmal war. Auch in manche Männer sieht man den Jüngling von einst.

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